Die Weinrebe ist diejenige Kulturpflanze, die wegen ihres Pilzbefalls durch den Echten und Falschen Mehltau am häufigsten gespritzt wird. Im konventionellen Weinbau zumal, da infolge einer kontinuierlichen Düngung des Oberbodens die Reben nicht mehr „kämpfen“ müssen, um gut in den Unterboden zu wurzeln und somit auch nicht von symbiotischen Mykorrhizapilzen profitieren können. Wegen der damit einhergehenden Schwächung werden sie weniger widerstandsfähig gegen den Befall durch Schaderreger. Und so hielten seit den 1950er Jahren Herbizide, Pestizide und Fungizide immer mehr Einzug in den Weinbau. Bei Bio-Betrieben stärken hingegen die Wurzelpilze und ein vielfältiges Bodenleben die Resilienz gegen Schadpilze.
Dürre und hohe Niederschläge als zunehmende Herausforderung
Dennoch müssen auch Bio-Winzer notfalls gegen den Pilzbefall zu erlaubten Spritzmitteln greifen, nämlich Schwefel und die sogenannte Bordeauxbrühe. Dabei handelt es sich um eine Mischung aus Kalk und einer wässrigen Kupfersulfat-Lösung. Die Mengen, die sie dabei ausbringen dürfen, variieren je nach den unterschiedlichen Vorgaben der einzelnen Verbände des biologischen Landbaus. Infolge zunehmender Starkregenereignisse in nördlicheren Regionen und anhaltende Dürre im Süden, kommt es immer häufiger zu einer Schwächung der Pflanzen, die sie anfälliger für Schädlings- und Krankheitsbefall werden lässt.
Hilfe durch Neuzüchtungen
Um zu verhindern, dass es als Konsequenz zu immer größeren Ernteeinbußen und den erhöhten Einsatz von Pflanzenschutzmitteln im Weinberg kommt, ist es unerlässlich, bei der Anpassung an den Klimawandel neue, resistentere Rebsorten zu züchten und zu erproben. Und dies nicht mithilfe von Gentechnik, sondern durch Kreuzungen von Wildreben mit wohlschmeckenden, europäischen Sorten. Diese neuen pilzresistenten Reben werden als PIWI bezeichnet. Diese Reben sind die perfekte Alternative zu den bekannten, aber krankheitsanfälligen Europäer-Sorten, weil sie nur noch selten gespritzt werden müssen, was zu einer Einsparung von 50 bis 80 % der Pflanzenschutzmittel führt. Somit gehen auch der Energieaufwand und die CO₂-Emission im Vergleich zur Pflege von Standard-Reben deutlich zurück.
Zunehmende Qualität und Akzeptanz der PIWI-Weine
Welche der Neukreationen sich letztlich auf jeweils unterschiedlichen Standortbedingungen bewähren, wird die Zukunft erweisen. Im Moment sind in Deutschland erst ca. vier Prozent der angebauten Rebflächen mit PIWIs bestückt. Die Tendenz zeigt jedoch deutlich nach oben, auch, weil viele Weinliebhaber eine größere Vielfalt erkunden möchten und dabei wieder vermehrt auf der Suche nach charakterstarken Weinen sind. Diese Möglichkeit eröffnen die neuen Sorten mit ihrem erweiterten Genpool. Was Ihre Qualität betrifft, können die Neukreationen immer mehr überzeugen, was in zunehmend hohen Bewertungspunkten durch Fachjurys zum Ausdruck kommt. Winzer konnten mit den vergleichsweise jungen Sorten in den letzten Jahren immer mehr Erfahrung im Weinkeller sammeln, dementsprechend verbessert sich auch laufend die Qualität der PIWI-Weine.
Eine auch ökonomisch nachhaltige Lösung durch die Kreuzung von natürlicherweise immunen, wilden Reben mit erfolgreichen klassischen Sorten ergibt sich jedoch nur, wenn neben Fachleuten auch die Verbraucher bei den Neuschöpfungen auf den Geschmack kommen. Diese tragen, um nur wenige zu nennen, Namen wie Cabernet Jura, Cabernet Blanc, Cabertin, Cabernet Cortis, Pinotin, Muscaris, Souvignier gris, oder Sauvignac.
Der Bio-Weinhändler Delinat als Vorreiter der PIWI-Entwicklung
Der Schweizer Bio-Weinhändler Delinat, dessen Partnerwinzer die strengsten Öko-Vorgaben im Markt einhalten müssen, setzt sich schon lange für die Züchtung von Rebsorten ein und hat neben bzw. mit dem renommierten Reb- und PIWI-Züchtungsexperten Valentin Blattner eine Pionierrolle übernommen. Bereits in den 1990er-Jahren hat Château Duvivier, das unternehmenseigene Gut des Schweizer Bioweinhändlers, als erstes in Frankreich eine Sonderbewilligung erhalten. Seither wird hier mit neuen Sorten im großen Stil experimentiert.
Dank der erfolgreichen Zusammenarbeit mit Valentin Blattner und einer neuen strategischen Partnerschaft mit Mercier, einem französischen Forschungs- und Entwicklungszentrum für Rebzucht, kann die Forschung deutlich intensiviert und neue Projekte auf Château Duvivier breiter gefächert und umfassender durchgeführt werden.
Ziel ist es, die zukunftsweisenden Sorten bei den Winzern zu verbreiten und bei den Konsumenten bekannter zu machen. Die eigentliche Züchtung erfolgt durch Valentin Blattner auf dem Delinat-Partnerbetrieb Albet i Noya in Katalonien. Dort wachsen im Versuchsfeld bereits mehrere Tausend neue PIWI-Sorten. Jedes Jahr kommen neue hinzu. Gleichzeitig werden ältere eliminiert, wenn sie nicht sämtliche Anforderungen erfüllen.
Zulassung in immer mehr Regionen
In der Schweiz und Deutschland ist bereits eine beträchtliche Anzahl an PIWI-Rebsorten zugelassen. In Frankreich werden es laufend mehr, in gewissen Regionen sind sie jedoch nicht für die geschützte Herkunftsbezeichnung genehmigt (Appellation). In Italien sind einige Sorten in einzelnen Regionen zugelassen, in manchen Gebieten ist der Anbau jedoch immer noch kompliziert. Noch kein grünes Licht für PIWI-Sorten gibt es offiziell derzeit noch in Spanien und Portugal, doch das sollte sich dank des Engagements von Josep Maria Albet i Noya und Valentin Blattner bald ändern.
Sortenverarmung und Monokulturen als weitere Problematik
Welche verheerenden Auswirkungen eine genetische Verarmung haben kann, wird an der großen Hungersnot in Irland zwischen 1845 und 1852 deutlich, bei der eine Million Inselbewohner starben. Sie war die Folge eines Pilzbefalls der Kartoffel, die zu dieser Zeit das Hauptnahrungsmittels der Inselbewohner darstellte. Da lediglich zwei anfällige, nicht-resistente Sorten angebaut wurden, kam es zur Vernichtung der gesamten Ernte. Infolge der Hungersnot starben eine Million Menschen, Millionen wanderten aus.
Gegenwärtig bedrohen zwei Pilzarten die Bananensorte Cavendish, die mit einem Anteil von 96 Prozent die weltweit wirtschaftlich bedeutendste Sorte darstellt. Ihr weiteres Absterben hätte drastische Konsequenzen für die Bevölkerung in den Anbaugebieten und könnte ihr die Existenzgrundlage entziehen. Rund um den Globus wird daher fieberhaft nach Restbeständen ursprünglicher Bananensorten gefahndet, um deren eventuell vorhandene Pilz-Resistenz in die Cavendish einkreuzen zu können. Daneben wird erforscht, wie durch Mischkulturen die Problematik gemindert werden kann, da der Anbau in riesigen Monokulturen wesentlich zur Ausbreitung der Pilzerkrankung beiträgt.
Wie in anderen landwirtschaftlichen und gärtnerischen Bereichen, verschärft auch im Weinbau die Konzentration auf immer weniger Sorten und der monokulturelle Anbau die klimabedingt kritische Situation.
Wir sprachen über die Bedeutung alter Sorten und die schwindende Sortenvielfalt im Weinbau mit dem renommierten Experten Valentin Blattner, der in Kooperation mit Delinat zahlreiche neue Sorten entwickelt und im großen Stil auf ihre Eignung überprüft.
Interview mit Valentin Blattner zur schwindenden Sortenvielfalt im Weinbau
natourerfahren: Weshalb ist die schwindende Sortenvielfalt im Weinbau ein Problem?
V. Blattner: Eine genetische Monokultur ist immer problematisch. Wenn man eine gesamte Rebfläche mit einer einzigen Genetik bepflanzt, hat man das Problem, dass die gesamte biologische Umgebung, wie Pilze, sich auf diese Genetik einstellen und sie befallen. Ein gutes Beispiel ist der Pinot Noir, dessen Genetik sich seit 500 Jahren kaum verändert hat. Die Pilze haben sich perfekt an diese Sorte angepasst und finden darin optimale Bedingungen.
Frage: Wie sieht die Sortenvielfalt im heutigen Weinbau global betrachtet aus?
Antwort: Global betrachtet kann man kaum von Sortenvielfalt sprechen, eher von Einfalt. Es geht vor allem um das, was sich gut vermarkten lässt. Chardonnay, Pinot Noir, Cabernet Sauvignon und Merlot dominieren, da diese Sorten durch Marketing als die besten dargestellt werden. Am Ende ist es aber eine persönliche Präferenz. Zum Beispiel wird behauptet, Chardonnay sei das Beste, ich dagegen finde, es ist eine der einfältigsten Sorten, da sie nicht viel Geschmack hat und Eichenholz benötigt, um überhaupt interessant zu schmecken.
Frage: Wäre ein Sortenwandel notwendig, um den Weinbau nachhaltiger zu gestalten?
Antwort: Auf jeden Fall. Allein durch den Einsatz von Resistenzgenetik, die heute durch Kreuzungen vorhanden ist, ließe sich die Situation verbessern. Es gibt Kreuzungen mit Wildreben, die sowohl Qualität als auch Resistenz gegen Krankheiten bieten. Das macht es für Pilze schwieriger, die Pflanzen anzugreifen, und ermöglicht den Winzern eine günstigere Produktion bei gleichbleibend hoher Qualität. Die klassischen Sorten werden in Zukunft keinen Bestand mehr haben, weil sie weder ökonomisch noch ökologisch tragbar sind.
Frage: Macht es Sinn, in einem Weinberg verschiedene Sorten zu pflanzen, anstatt nur eine Sorte reihenweise?
Antwort: Absolut. Monokulturen funktionieren auf lange Sicht nie. Wenn in jeder Reihe eine andere genetische Grundlage vorhanden ist, hat es der Pilz schwerer, sich auf eine spezifische Genetik zu spezialisieren. So bleibt der Weinberg insgesamt gesünder und es ist für den Winzer einfacher. Am dümmsten ist es, einen ganzen Weinberg mit einer einzigen Sorte wie Pinot Noir zu bepflanzen – das ist ökologisch gesehen nicht sinnvoll.
Frage: Du züchtest auch neue, resistente Sorten. Woher stammen die resistenten Rebsorten, die du als Basis benutzt?
Antwort: Diese Sorten stammen alle von Wildreben, die in Regionen vorkommen, wo Pilze weit verbreitet sind und die lokalen Reben eine Resistenz entwickelt haben. Diese Resistenz wird dann in unsere bekannten Rebsorten eingekreuzt. So kombiniert man den gewünschten Geschmack mit der Resistenz, die von Wildreben wie Vitis riparia oder Vitis amurensis stammt.
Frage: Wie findet man solche Wildreben und wie aufwendig ist die Züchtung?
Antwort: Diese Wildreben sind bekannt. Zum Beispiel gibt es Vitis riparia entlang des Mississippi, die eine gute Resistenz gegen Mehltau hat. Oder die Vitis amurensis aus Asien, die am Amur-Fluss wächst. Je nach gesuchter Eigenschaft, wie zum Beispiel einer Resistenz gegen Bakterienkrankheiten, findet man passende Wildreben in verschiedenen Regionen der Welt. Diese Resistenzmechanismen sind essenziell für die Zukunft des Weinbaus.
Frage: Welche Eigenschaften werden in der Zukunft wichtig sein, und wie entwickeln sich deine Züchtungsziele?
Antwort: Das ist von Region zu Region unterschiedlich. Bei uns sind Pilzkrankheiten wie Echter und Falscher Mehltau sowie Fäulnis die größten Herausforderungen. Um diese zu bewältigen, braucht es Trauben mit fester Schale und lockeren Traubenstrukturen. Auch Trockenheitsresistenz wird immer wichtiger. Europäische Sorten zeigen hier Potenzial, das in der Züchtung genutzt wird.
Frage: Gibt es genetisches Potenzial in den europäischen Sorten, das noch nicht vollständig genutzt wird?
Antwort: Ja, das Potenzial ist noch lange nicht ausgeschöpft. Züchtung war bisher nicht das Hauptthema im Weinbau, aber das wird sich in Zukunft ändern. Jede Region wird ihre eigenen Züchtungsprogramme entwickeln müssen, um den Herausforderungen vor Ort gerecht zu werden.
Text: Peter Grett
Bilder: Delinat