Der Skutarisee, den sich Montenegro und Albanien teilen, ist eigentlich eine überschwemmte Karst-Polje. Dieses langgestreckte Becken mit fast ebenem Boden bildet durch seine großen Schwankungen des Wasserstandes und den verschiedenen, umgebenden Landschaften ein höchst vielfältiges und dynamisches Gebiet. Der See zählt zu den vogelreichsten Gewässern Europas, liegt am ostadriatischen Vogelzugweg und beherbergt das westlichste Brutvorkommen des Krauskopfpelikans.

Erkundung des Auwalds

Noch vor 6 Uhr früh fährt uns Mirko an diesem Mai-Morgen mit seinem Fischerboot durch den Kanal im Auwald. Die aufgehende Sonne vergoldet die Baumwipfel über uns, frisches Grün explodiert und das Konzert der Vogelstimmen übertönt sogar das surrende Motorengeräusch. Das Karstwasser unter uns ist glasklar. Plötzlich wird Mirko langsamer und deutet hinunter: „Ein Wrack!  Ein versunkenes Schmugglerboot aus der Kriegszeit.“  Er meint den Balkankrieg der 90-er Jahre, als sich das blockierte Restjugoslawien hier, über Albanien, vor allem mit Treibstoff und Zigaretten versorgte. Wir sehen nur den rostigen Deckaufbau eines größeren Bootes.

Wenig später wird der Wald niedriger und geht in Buschwerk über, das inselhaft aus dem Wasser ragt. Dann gleiten wir durch weite Flächen von Schwimmblattpflanzen. Der Blick geht über die Seefläche bis zum sanft geschwungenen Höhenzug des Rumia-Gebirges. Über uns kreischt ein Schwarm spitzflügeliger Weißbartseeschwalben, beruhigt sich jedoch bald. Anmutig senken sich die dunkelbauchigen, weißen Vögel mit den roten Schnäbeln und schwarzen Kappen auf ihre aus Schilfhalmen gebauten, schwimmenden Nester.  Die Vögel sind scheuer als sonst. Seit mehreren Wochen ist der See für Fischer gesperrt, um die Fortpflanzung der Fische im Frühling nicht zu stören. Daher ist unsere Fahrspur in der schwimmenden Vegetation auch fast zugewachsen, - und die Vögel finden das Boot ungewöhnlich.

Auf morgendlicher Fotopirsch durch den Auwald

Die langsamen Fischerboote sind für die Schwimmblattvegetation kein großes Problem. Schnellboote mit viel stärkeren Motoren verursachen aber einen viel höheren Wellenschlag, den keine frischgeschlüpfte, weiche Libelle, kein frischgeschlüpftes Limikolen-Küken überlebt. Dennoch schießen jetzt sogar schon Touristenboote mit 130 PS Außenbordern durch die Seerosenflächen. Auf der freien Seefläche wäre das unbedenklich, aber sie wollen die schönen Seerosen sehen und bedenken nicht die Destruktion, die sie verursachen. Von den monströsen Schnellbooten, die neben den schnellen deutschen Autos zu den Statussymbolen der montenegrinischen Machos zählen, gar nicht zu reden.

Kormorane und ihre kleineren, ganz schwarzen Kollegen, die Krähenscharben, ziehen wie zerfetzte Gewitterwolken in Gruppen über den Himmel. Sie sind an der Frequenz ihres Flügelschlags und an der unterschiedlichen Größe leicht auseinander zu halten.  Graureiher, Silberreiher, Seidenreiher, Purpurreiher und Rallenreiher sind ebenfalls auf der Suche nach einem Frühstück.

Der seltene Rallenreiher besitzt am Skutarisee ein Hauptverbreitungsgebiet

Für den Vogelfreund reicht ein kurzer Blick durch den Feldstecher, um die gelben Füße des Seidenreihers oder die rostroten Streifen und den dünnen Hals des Purpurreihers zu erkennen. Der Rallenreiher sendet selbst das Signal für seine Identifikation: von einem hellbraunen Stück Treibholz, auf dem er, ebenso hellbraun-unsichtbar, vielleicht stundenlang bewegungslos gesessen war, fliegt er als weißer Vogel mit großen Schwingen auf und setzt sich danach wieder nieder, faltet die Flügel und schaltet damit sein weißes Signal aus!  Jetzt, am Morgen, hocken die Nachtreiher schon wieder bucklig in den Gebüschen.  Ein Airbus segelt im Landeanflug auf Podgorica über den Himmel, - einige Stockwerke tiefer fliegt ein Krauskopfpelikan. Er wechselt von kräftigen Flügelschlägen zu ähnlicher Segeltechnik, um von seinem Brutfloß zu seinen Fischfanggründen zu gelangen.

Es gibt nahrungsökologische Studien über Wasservögel. Man weiß ungefähr wieviel Kilogramm Fisch ein Kormoran, eine Krähenscharbe pro Tag fressen. Und man kann die Vögel zählen. Bei Gewässern von der Größe des Skutarisees müssen es viele Tonnen Fisch pro Tag sein, die jetzt, in der Brutsaison, von Vögeln gefressen werden.

Der See ist nicht tief. Starke Winde können Sand vom Grund aufwirbeln: die Seeoberfläche erscheint dann braun. Wenige Tage später kann sie azurblau sein. Er sammelt Wasser von mehreren Zuflüssen und zahlreichen Karstquellen aus einem großen Einzugsgebiet mit riesigen Niederschlägen. Hier in den Bergen Montenegros fallen die höchsten Jahresniederschläge Europas. Mehr als in den norwegischen Fjorden , Irland oder im Nordwesten Schottlands!

Wenn die Schneemassen der Gebirge abschmelzen und große Regenmengen dazu kommen, steigt der Wasserspiegel und überflutet die umliegenden Auwälder und Sumpfgebiete. Die Schwankungen zwischen Niedrigwasser (meist im Herbst) und dem Hochwasser im Winter oder Frühling liegen im Durchschnitt bei 3-5 Metern, können aber bis zu 9 Meter wie im Jahr 2010 betragen. Der See ist dann so groß wie der Bodensee, also fast 540 km².

Blick von Osten über Schwimmblattvegetation und schwimmende Torfinseln - wohl das ungewöhnlichste und seltenste Habitat Europas

Das Wasser des Sees findet seinen Abfluss im Süden, bei der albanischen Stadt Shkodra. Dort beginnt ein nur ca. 40 km langer Grenz-Fluss mit zwei Namen: Bojana auf Slawisch, Buna auf Albanisch. Von links nimmt der Fluss den Drin auf und fließt nun mächtig und mäandrierend durch das Auwald-Tiefland zum Meer, wo er sich, als drittgrößter Zufluss des Mittelmeeres (nach Nil und Po) in die Adria ergießt.

Im Norden grenzen große Sumpfgebiete und Überschwemmungsland an den See, von Osten erreicht ihn ein mächtiger Schwemmkegel aus den albanischen Alpen, im Süden und Westen steigen steil die Berghänge des Rumia-Gebirges auf über 1500 Meter und schirmen den See von der Adria ab.

Das Karstbecken des Sees wird von Bergen umgrenzt

Man kann es sich vorstellen: maximal 9 Meter Spiegelschwankung bei einem so unterschiedlichen Relief: was für eine Vielfalt an Lebensräumen kann da entstehen, aber auch vergehen. Dass der nur wenige Meter tiefe See nicht mit Schilf zuwächst wie etwa der Neusiedler See, liegt an den großen Wasserstands-Schwankungen. Also wenig Schilf, dafür seichtes, nährstoffreiches Wasser als Kinderstube für Fischnachwuchs. Monate später ist das dann eine beweidete Wiese und wichtiger Rastplatz für die Pelikane. Ohne beweidete Wiese keine Pelikane, keine Grauammern, keine Zistensänger. Hier, wie fast überall in Europa ist die Beweidung die wichtigste Naturschutzmaßnahme, denn die Invasion durch den amerikanischen Neophyten Amorpha (Amorpha fruticosa), besser bekannt als Bastardindigo, verschärft überall im Mittelmeerraum diese Problematik. Innerhalb von wenigen Jahren wachsen nicht beweidete Flächen meterhoch zu, was für die Biodiversität schlimmer ist als Feuer.

Zu Zeiten des Eisernen Vorhanges, als der See eine gemiedene Grenzregion war und der Fluss eine der bestbewachten Grenzen der Welt, gingen die Zahlen der hier überwinternden und rastenden Vögel in die Millionen. Nur ein Bruchteil davon ist heute zu zählen: In den von EURO-Natur und den Forschern Martin Schneider-Jacobi und Borut Stumberger publizierten Daten sind es z.B. an einem Zugtag 700 Moorenten, 32 000 Knäkenten, 2700 Löffelenten, 2000 Pfeifenten. Die Zwergscharben besiedeln mit ca. 20 000 Individuen den See. Von den Krauskopfpelikanen liegt der Bestand hier, in der westlichsten Brutkolonie der Welt, bei ca. 100 Individuen. Mehrere tausend Brutpaare Weißbartseeschwalben besiedeln in guten Jahren die Seerosenflächen. In der Saline von Ulcinj, die man auch zum hydrologischen und ökologischen Komplex dazu zählen muss, wurden zur Zugzeit von Uferschnepfen, Seeschwalben oder Möwen jeweils viele Tausende gezählt. Dort brüten auch einige Hundert Paare von Rotflügelbrachschwalben und ein Nistkastenprojekt hat mit der Blauracke gute Erfolge zu verzeichnen. Rosaflamingos werden dort seit über 10 Jahren immer häufiger, leider waren bisher ihre Brutversuche noch nicht erfolgreich.

Rosaflamingos: Noch kein Brutvogel im Gebiet, jedoch immer häufiger zu sichten

Die Schutzbemühungen vor Ort haben sich mit der Gründung der lokalen BirdLife-Partner Centar za zaštitu i proučavanje ptica (CZIP) und im Zuge der Annäherung an die EU  über das Natura 2000 Programm verstärkt. So ist es z.B. gelungen, die Saline von Ulcinj, die ein Spekulationsobjekt war, unter Naturschutz zu stellen. Es ist der „Wild Beauty“ Montenegro zu wünschen, dass der von der Politik ausgerufene Weg zu einem Umwelt-Musterland mit Erfolg weiter beschritten wird. Wir ausländische Natur-Touristen können unseren Teil dazu beitragen.

Wer sich der Region naturkundlich und touristisch nähern will, muss sich entscheiden: Jede der vier Zonen rechtfertigt einen längeren Aufenthalt und bringt lohnende Beobachtungen.

  • Der See mit seinen sehr unterschiedlichen Ufern und Begrenzungen: Ausgangsort VIRPAZAR (Mit 2 Hotels, Privatzimmern und Campingplatz) und das Nationalparkzentrum auf der Insel Vranjina. Bootsfahrten ab Virpazar und Vranjina.
  • Die albanische Ostseite und die Alpen. Shkodra oder Koplik sind Ausgangspunkte dafür.
  • Grenzfluss Bojana/Buna, Dünenlandschaft des Deltas und Großer Strand sowie die dahinter liegende
  • Saline Für die an zweiter und vierter Stelle genannten Regionen bezieht man am besten in einem der vielen Hotels in Ulcinj oder an der Velika Plaza Quartier. Dort gibt es auch zahlreiche Campingplätze, - und im Pinienwald Zwergohreule und Ziegenmelker, um nur zwei Beispiele aus der artenreichen Vogelwelt zu nennen.
Mit Glück und Geduld lässt sich sogar der gut getarnte Ziegenmelker im Pinienwald entdecken.

Das Hotel „Palata Venezia“ ist ein historisches Juwel, eingerichtet im renovierten Palast des venezianischen Statthalters und einigen Nebengebäuden. Es wird mit Engagement und Liebe von der Großfamilie Resulbegovic geführt. Sie haben Nisthilfen für u. a. Alpensegler und Mauersegler angebracht. Wenn Herr Leskovac, der Jahrzehnte in München in der gehobenen Gastronomie tätig war, das Frühstück serviert, muss der Vogelfotograf eine schwere Entscheidung treffen: frische, warme Croissants genießen, oder kreischende Alpensegler fotografieren.

geo-vision.info  
www.boedendorfer.com

Text: Dr. Herbert Bödendorfer
Bilder: geo-vision – Dr. H. Bödendorfer