Seit 1994 wählt die Deutsche Gesellschaft für Mykologie e.V. (DGfM) jährlich einen der über 10.000 in Europa heimischen Großpilze zum Pilz des Jahres. Einerseits geht es bei dieser Wahl natürlich um die jeweils gekürte Art selbst, andererseits steht jeder „Jahrespilz“ exemplarisch für die Pilze und ihre ökologische Bedeutung insgesamt. Mit der Wahl soll die Öffentlichkeit für die Natur und die Pilze sensibilisiert werden.

2024 ist der Schopftintling (Coprinus Comatus) zum Pilz des Jahres gekürt worden, aber warum eigentlich? Selten ist er keineswegs - im Gegenteil. Weil er gerne nährstoffreiche Habitate besiedelt, ist er zu einer Art Kulturfolger geworden. Wo Pferdeäpfel fallen oder Spuren von Dünger tröpfeln, da taucht er auf, und zwar oft in Massen. An Weg- und Waldrändern sowie mitten in Wiesen können vom Frühjahr bis in den Spätherbst ganze Pilzrasen auftauchen.

Bedroht ist er in seinem Bestand also nicht, dafür aber recht spektakulär, denn kaum hat er seine charakteristische walzenartige Form entwickelt, beginnt ein fast unheimlicher Vorgang: vom unteren Rand des Fruchtkörpers aufwärts beginnt er sich zu verfärben, von rosa über braun zu schwarz, und dann macht er sich sozusagen ganz davon, indem er sich selbst „verdaut“. Hutfleisch und Lamellen zerfließen zu schwarzer Tinte, bis am Ende ein kläglicher zerfaserter Hutrest an der Stielspitze übrig bleibt. Der verbleibende dünne weiße Stiel ist angetan mit einem Rest des Ringes, dem Überbleibsel eines Häutchens, das in der Jugend die Lamellen auf der Innenseite schützt. Die Tinte ist dabei das Transportmedium für die in ihr enthaltene Sporenmasse. Fliegen und andere Insekten tun sich an der Tinte gütlich und verbreiten so die Pilzsporen.

Schon färbt sich das Gras unter dem Pilz schwarz und lockt Fliegen an

Die Tinte wurde früher als Schreibflüssigkeit verwendet, der Stiel, an eine Spargelstange erinnernd, gab ihm den Beinamen „Spargelpilz“. Diesen trägt er wohl auch wegen seines zarten Geschmacks, denn er ist ein kulinarisches Highlight, sofern man ihn schnell genug verwertet. Der walzenförmige Fruchtkörper selbst ist mit zunächst gelbbraunen Schuppen besetzt, die etwas abstehen und wohl, an einen Schopf erinnernd, maßgeblich für seine Namensgebung waren.

Tintlinge – sonderbare Gesellen am Waldrand

Die Tintlinge sind sozusagen Cousins bzw. Cousinen des Champignons (Egerling), sie werden zu den Agaricaceae bzw. Agaricomycetidae gezählt. Dabei sind die Verhältnisse, wissenschaftlich betrachtet, gar nicht so eindeutig. Mehrere Tintlingsvertreter sind mit anderen Arten, ja sogar anderen Gattungen, enger verwandt als mit anderen Tintlingen. Unter ihnen allen ist der Schopftintling den Egerlingen am ähnlichsten und der einzige ohne Einschränkung essbare. Der Faltentintling, seinem Habitus nach nächster Verwandter, fällt in seiner Erscheinung gegen den Star der Gattung stark ab, grau und mit Längsfalten versehen wirkt er neben dem prächtigen Schopftintling wie ein verhärmter Bettler. Auch ihn kann man verzehren, muss aber vor und nach dem Mahl geraume Weile auf Alkohol verzichten, sonst tritt eine veritable Vergiftung ein. Auch der Schopftintling enthält einen gewissen Gehalt an Coprin, das in Verbindung mit Alkohol toxisch wirkt, nur sind die Dosen hier zu gering um eine spürbare Wirksamkeit zu entfalten.
Auffällig ist auch der Spechttintling mit seinem braunen und weiß quergestreiften bzw. gefleckten Fruchtkörper, sowie bei Dunkelheit der wesentlich kleinere, dafür in großen Büscheln wachsende Glimmertintling. Wenn des Nachts ein geheimnisvolles, grünes Leuten zwischen Baumstämmen oder in Wiesen auftritt, ist vermutlich der Glimmertintling die Ursache. Essbar ist der Glimmertintling im Jugendstadium als Suppenpilz, aber auch hier gilt eine strenge Alkohol-Warnung.

Leuchtender Verwandter des Schopftintlings, der Glimmertintling

Nutzen für den Menschen

Als man seine Briefe noch mit Federkiel und Tinte schrieb, nutzte man oft die von Tintlingen. Historiker verdanken diesem Umstand die Möglichkeit, Briefe mittels DNA-Analyse der Tinte zu verorten oder zu datieren. Als traditionelles Heilmittel, besonders in der fernöstlichen Medizin, wird der Schopftintling ebenfalls geschätzt, als Blutdruck-Senker und für die Aufgabe, im Gewebe freie Radikale einzufangen und den Blutzuckerspiegel zu senken. Die Verdauung regt er ebenfalls an, das Wachstum von Tumoren hemmt er dagegen. Daher auch die Bezeichnung als Vitapilz. Der Schopftintling ist kultivierbar und kann so etwa auf Stroh im Garten etliche reiche Ernten im Jahr ermöglichen.

Ein vergänglicher „Räuber“

Tatsächlich, der „Spargel“ ist ein Räuber, vor dem sich die Fadenwürmer im Boden fürchten würden, so sie sich denn ängstigen könnten. Das Myzel des Schopftintlings, also der eigentliche Pilz, bildet im Boden kugelförmige Fangorgane aus, die regelrecht auf die Jagd nach Fadenwürmern gehen. Berührt ein solches Fangorgan einen Wurm, injiziert es ein Gift in sein Opfer und die Hyphen (Pilzfäden) dringen in den Leichnam ein und verdauen ihn. Ansonsten bezieht er seine Nährstoffe aus dem vorzugsweise mit Nährstoffen angereicherten Boden.

Ökologie

Pilze sind weder Tiere noch Pflanzen, sie bilden, vom stattlichen Großpilz bis zum mikroskopisch kleinen Schleimpilz, eine Art Zwischenreich. Da sie keine Photosynthese betreiben, müssen sie ihre Energie extern, vor allem von (toten) Pflanzen beziehen. Zusammen mit im Boden lebenden Kleinlebewesen sind sie die großen Recycler in Wald und Flur und spielen daher eine bedeutende Rolle im Kreislauf des Lebens. Sie zersetzen totes Holz und anderes organisches Material und sorgen so für immerwährenden Nachschub an Humus. Wobei sie oft auch eine Symbiose mit Bäumen eingehen und mit diesen Mineralien und Wasser für Zucker tauschen oder an lebenden Pflanzen bisweilen auch an Tieren, schmarotzen.

https://www.dgfm-ev.de/pilz-des-jahres/2024-schopf-tintling

Text: Werner Köstle
Bilder: Autor (3), DGfM/Dr. Rita Lüder (2)