Ende 2023 wurde der diesjährige Baum des Jahres von der „Baum des Jahres – Dr. Silvius Wodarz Stiftung“ und durch deren Fachbeirat, dem „Kuratorium Baum des Jahres“ (KBJ), bestimmt. Dabei fiel die Wahl auf die Echte oder Gewöhnliche Mehlbeere (Sorbus aria).

Trotz ihrer relativ geringen Wuchshöhe von 12-15 Metern handelt es sich um eine beeindruckende Baumart, die ein Alter von 150 – 200 Jahren erreichen kann. Vor allem im Herbst zeigt sie ihre volle Schönheit, denn dann scheinen die orange bis scharlachrot gefärbten Früchte durch die gelb bis goldbraune Laubkrone. Aber auch im Frühjahr beeindruckt sie mit ihren weißen Blüten, die einen wohlriechenden Duft verströmen und zahlreiche Insekten anlocken. Dann öffnen sich auch ihre großen, klebrigen, braun und grün changierenden Knospen und treten die von dichtem silbergrauem Haarfilz bedeckten Triebe, Blätter und Blütenknospen zutage. Diese Behaarung verschwindet dann nach und nach, bleibt aber an den Blüten, beziehungsweise späteren Fruchtstielen, und vor allem an den Blattunterseiten als Verdunstungsschutz bis in den Herbst erhalten.

Baum offener Landschaften

Die lichtliebende Mehlbeere ist nach der letzten Eiszeit über das südöstliche Europa eingewandert und ist heute rund um das westliche Mittelmeer und in Teilen von West- und Mitteleuropa zu Hause. Ihre natürliche nördliche Verbreitungsgrenze verläuft über Südengland und Belgien quer durch Deutschland über die Eifel, durch Nordhessen sowie den Thüringer Wald. Sie ist in Deutschland vor allem ein Baum der Hügel- und bergigen Landschaften bis in den alpinen Raum hinein, wo sie bis auf etwa 1600 m klettert.

Die Blattform ist bei der Mehlbeere variabel und reicht von eiförmig-elliptisch, länglich-lanzettförmig bis zu kreisrunden Exemplaren

Wichtig sind ihr vor allem sonnige Standorte und wenig Konkurrenz. Daher ist die Mehlbeere meist an Waldrändern, in Heidegebieten, auf Mager- und Trockenrasen anzutreffen. Auch an Steilhängen und auf Felsblockhalden kommt sie zurecht, entwickelt sich dort allerdings meist mehrstämmig oder auch nur strauchförmig. Sie liebt – auch wenn sie nicht darauf angewiesen ist – kalkreiche Böden.

Ihre Vorliebe für lichte und sonnige Standorte macht sie zu einem Pionierbaum, der auch bereits in den derzeitigen unter den Folgen der Klimaerwärmung zusammenbrechenden Waldflächen Fuß gefasst hat. Allerdings wird die Mehlbeere aufgrund ihres vergleichsweise langsamen Wachstums vermutlich schon recht früh wieder von anderen nachwachsenden Baumarten von diesen Flächen verdrängt werden.

Neue Karriere in der Stadt

Die Mehlbeere wird in Zukunft vermehrt auch in urbanen Gefilden zu bewundern sein. Der Grund, warum sie inzwischen ein beliebter Stadt- und Parkbaum ist, hat mit der Erwartung zu tun, dass sie auch mit den zunehmenden Trockenperioden gut zurechtkommen wird. „Die Art wird zukünftig eine bedeutende Rolle in der Begrünung der Städte spielen“, erklärt Stefan Meier, Präsident der Baum des Jahres Stiftung. Die bundesweite Gartenamtsleiterkonferenz (GALK) hat die Mehlbeere  in die Liste der Zukunftsbäume für die Stadt aufgenommen, weil sie dazu beiträgt, das städtische Mikroklima zu verbessern und sie für Abkühlung sorgt. Außerhalb der Städte wird sie - vorrangig an Nebenstrecken – auch gern als Alleebaum gepflanzt.

Die Beeren munden den Vögeln, weniger den Menschen

Die Früchte der Mehlbeere sind rundlich-oval und ein bis anderthalb Zentimeter groß. Sie werden gewohnheitsmäßig Beeren genannt. Botanisch korrekt wäre es jedoch, sie als Apfelfrüchte zu bezeichnen, denn wie beim Apfel, der zur näheren Verwandtschaft der Mehlbeere gehört, ist die eigentliche Frucht lediglich das sogenannte Kerngehäuse. Dieses schmeckt mehlig und eher langweilig. Nach dem ersten Frost ist der Gehalt an Gerbstoffen allerdings verringert und es kommt eine gewisse Süße durch, sodass der Saft der Früchte zumindest als Beimischung zu Säften, Marmeladen und Gelees infrage kommt. Auch Essig oder Branntwein lässt sich nach Zugabe von Zucker gewinnen. Eine größere wirtschaftliche Bedeutung haben die Früchte der Mehlbeere indes nie erlangt.

Vögel mögen sie hingegen, vor allem Drosseln, aber auch Dompfaffen und Seidenschwänze. Sie sind es auch, die in erster Linie zur Verbreitung dieses Baumes beitragen. Auch viele Säugetiere, von Mäusen bis Wildschweinen, können den Beeren etwas abgewinnen, müssen aber meist bis zum nächsten Jahr warten und sehen, ob die Vögel etwas übriggelassen haben. Denn die Fruchtstände sind sogenannte Wintersteher, die erst nach und nach im drauffolgenden Jahr abfallen. Wegen ihres Nutzens für die Tierwelt wird die Baumart seit einigen Jahren zunehmend auch zur Förderung des Natur- und Artenschutzes gepflanzt.

Die Beeren ähneln denen der verwandten Eberesche und sind ebenfalls bei vielen Tieren beliebt.

Warum der diesjährige Baum des Jahres Mehlbeere heißt, ist nicht eindeutig geklärt. Neben dem mehligen Geschmack der Früchte sollen auch die bemehlt aussehenden jungen Triebe und Blattunterseiten oder auch die Beimischung getrockneter Mehlbeerenfrüchte zur Streckung von Mehl in Notzeiten zur Namensgebung beigetragen haben.

Der Baum des Jahres kreuzt sich gerne

Die Mehlbeere und einige verwandte Arten neigen dazu zu bastardieren. Sie kreuzen und vermehren sich also nicht nur innerhalb der eigenen Art, sondern gelegentlich auch mit nah verwandten Arten. Die Mehlbeere gilt dabei als außerordentlich bastardierfreudig. So gibt es zahlreiche Bastarde mit nah verwandten Arten wie mit der Eberesche, der Elsbeere oder der Zwerg-Mehlbeere. Aber sie bastardiert auch mit nicht so nah verwandten Arten wie der Apfelbeere (Aronia) oder der Kultur-Birne.

Diese Mehlbeeren-Bastarde sind im Allgemeinen steril. Wegen der zu unterschiedlichen Strukturen der elterlichen Chromosomen wird die Entwicklung zu einer befruchtungsfähigen Eizelle blockiert. Aber: die Mehlbeeren-Bastarde haben dafür einen nahegelegenen Ausweg gefunden, um doch auch für eigene Nachkommen zu sorgen: Eine normale Zelle des Gewebes nahe der blockierten Eizelle kann umgestimmt und zur Bildung von keimfähigen Samen angeregt werden. Eine Bestäubung der Blüte, aber ohne nachfolgende Befruchtung, kann diese Umstimmung befördern.

Von außen und mit bloßem Auge ist also nichts Ungewöhnliches zu erkennen: Der Mehlbeeren-Bastard blüht, die Blüte wird bestäubt und in den sich entwickelnden Früchten werden keimfähige Samen gebildet. Aber: Diese Nachkommen sind, da keine Befruchtung stattgefunden hat, auf natürliche Weise geklonte Pflanzen, völlig identisch mit ihrer Mutterpflanze. Und diese und alle weiteren Nachkommen können sich dann auch auf die gleiche ungeschlechtliche Art immer weiter vermehren. Diese sogenannten „konstanten Hybriden“ werden inzwischen als eigenständige Arten angesehen.

https://baum-des-jahres.de/

Text: Peter Grett auf der Grundlage einer Beschreibung von Dr. Rudolf Fenner
Bilder: Dr. Silvius Wodarz Stiftung